22. Feb 2025
Unser Beitrag auf der Kundgebung für Demokratie in Bensheim
Viel Ahnung von Politik hab ich nicht. Aber nach 30 Jahren Hospizarbeit und vielen Tausend Menschen, die ich habe sterben sehen und mit denen ich am Lebensende gesprochen habe, kann ich Ihnen davon was erzählen.
Davon, was wichtig ist im Leben und wie das ist, wenn man auf sein Leben zurückblickt. Denn, dass wir das eines Tages tun werden, steht ja mal fest. Keine Ahnung, wer die nächste Wahl gewinnt, keine Ahnung, was der eine oder andere unter uns noch erleben oder erreichen wird, aber dass wir alle eines Tages sterben, ob groß ob klein, ob dick ob dünn, ob schwarz ob weiß ob deutsch oder aus einem anderen Land ob Christ oder in einer anderen Tradition aufgewachsen. Der Tod ist der große Gleichmacher. Dass wir mal einfach tot umfallen, oder morgens nicht mehr wach werden, ist höchst unwahrscheinlich. Die allermeisten werden Gelegenheit haben, ihr Leben zu reflektieren.
Als kleines Hilfsmittel, um über sein Leben nachzudenken haben wir im Hospizverein diese Denkdeckel. Da stehen interessante, teilweise etwas provozierende, teilweise etwas witzige Sachen drauf. Auf diesem hier steht: Wer wird gut sterben?
Wenn ich diese Deckel benutzt höre oft: Der ein erfülltes Leben hatte? O. K. Aber was erfüllt unser Leben?
Wenn wir zurückblicken auf ein Leben voller Hass und Groll und Missgunst? Wo wir uns vielleicht mit Ellenbogen und Egoismus durchgekämpft haben und vieles erreicht haben und materielle Güter angehäuft haben??? Ich glaube nicht, dass ich an Gedächtnisschwund leide, aber soviel ich auch nachdenke, noch niemand hat mir im Angesicht des Todes erzählt: „Was bin ich so froh, dass ich mir diese oder jene Vorteile verschafft oder diesen oder jenen Konkurrenten ausgebootet habe oder das Haus so rum und nicht andersrum gebaut habe und das fette Auto vor der Tür steht.
Wenn wir am Lebensende angekommen sind und auf unser Leben zurückblicken, sind es ganz andere Sachen, die wichtig sind. Was uns glücklich macht, sind gelungene Beziehungen. Hab' ich meine Kinder gut aufs Leben vorbereitet und wird etwas von mir und meinen Werten bleiben und wie werden die Menschen sich an mich erinnern? An meine Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft? An mein soziales Engagement und Güte? Oder was wird bleiben?
Natürlich sind Menschen verschieden und alles, was ich sage, mag nicht auf 100 % zutreffen. Ich spreche nur von meinen Erfahrungen.
Aber, dafür, dass wir ganz tief drinnen eigentlich alle die gleichen Bedürfnisse haben, gibt es unzählige schöne Beispiele. Ich erzähle immer wieder gerne von einer Situation im Hospiz von Jerusalem. Ich war schon oft in Israel, kenne dort viele Menschen. Das Hospiz in Jerusalem, das „french hospital“ ist ein ganz besonders zauberhafter Ort.
Dort werden am Lebensende viele Christen, viele Araber, viele Juden, auch gerade russische Juden liebevoll und respektvoll Umsorgt. Der Religions- und Kultur- und Sprachmix ist eine große Herausforderung. Aber ob sie es glauben oder nicht, es funktioniert vorzüglich. Weil auf einmal das im Fokus steht, was wirklich wichtig ist… Natürlich gibt es auch hier Ressentiments – ganz klar. Bei einem Besuch 2011 war ich unter anderem über den Holocaust Gedenktag dort zu Gast. Es hat mich tief berührt… Es gibt dort fast nur Mehrbettzimmer, denn es ist ein historisches Gebäude. So begab es sich, dass in einem Zweibettzimmer zwei Damen relativ nahe am Lebensende Besuch von ihren ältesten Söhnen hatten. Die eine Dame Jüdin, die andere Araberin. Die beiden Söhne voneinander abgewandt, Rücken an Rücken an den Sterbebetten ihrer Mamas, deren Hand haltend. Traurig und lautlos vor sich hinweinend. Wussten sie doch beide, dass sie bald „mutterseelenallein“ sein werden. Ein interessantes deutsches Wort für das Gefühl maximaler Einsamkeit. Das Wort gibt es nur in unserer Sprache, das Gefühl gibt es in jeder Sprache bzw. bei allen Menschen. Schon ganz besonders, wenn man die Mama verliert. Es begab es sich dann, dass beide Männer gleichzeitig aufstanden und – als sie sich umwendeten – sahen sie dem jeweils anderen Tränen übers Gesicht laufen. Und spontan umarmten sie sich. Ich weiß natürlich nicht, was sie dachten. Vielleicht dachten sie aber schon: „Was haben wir denn eigentlich für so viele Jahre für einen Mist geglaubt?! Dass der jeweils andere ganz schlimm und ganz anders und mein Feind ist. – Ganz tief drin sind wir doch ganz gleich. Wir empfinden jetzt genau gleich.“
Hier ist noch ein weiterer Deckel. Da steht drauf „Würde leben – Würde finden – in Würde sterben?“ WÜRDE so ein wichtiger Begriff in unserem Land. Ich glaube, in unserem Grundgesetz steht ganz vorne am Anfang nicht „Die Würde des Deutschen ist unantastbar“, sondern „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Für uns Hospizler gilt das uneingeschränkt. Eine gute Begleitung und Umsorgung am Lebensende sind ein Menschenrecht. Sie können nicht abhängig davon sein, dass man die richtige Krankenkasse hat, die richtige Staatsangehörigkeit, die richtige sexuelle Orientierung, die richtige Hautfarbe, die richtige Sprache spricht oder an den richtigen Gott glaubt oder die richtige Partei wählt (obwohl das natürlich schon eine gute Idee wäre).
Und es geht auch nicht nur um die Würde der Alten und Kranken und Sterbenden. Es geht auch um die Würde derer, die sie pflegen. Und da gibt es unzählige, die eine andere Hautfarbe haben, mit einer anderen Sprache aufgewachsen sind und an einen anderen Gott glauben. Aber was um Gottes Willen täten wir denn ohne diese Kolleginnen und Kollegen? Und viele sind vielleicht noch nicht mal sehr lange hier in unserem Land? Wenn die weg wären… dann wären die ohnehin schon unerträglichen Bedingungen im Gesundheitswesen völlig desolat.
Mit vielen meiner Freunde in Israel habe ich intensiven Kontakt. Darunter sind palästinensische Christen in Bethlehem, aber auch Juden in Jerusalem, Tel Aviv und anderen Orten. Allesamt kluge, kultivierte, sehr friedliebende Menschen. Die schreiben mir regelmäßig und berichten von dem, was sie tun. Und was tun sie? Sie gehen auf die Straße und demonstrieren. Sie demonstrieren für Freiheit und Demokratie. Nicht erst seit Oktober vor einem Jahr. Auch davor schon standen sie auf den Straßen von Tel Aviv und anderen Orten und demonstrierten friedlich für Freiheit und Demokratie. Das scheint mir das zu sein, was kluge kultivierte Menschen allerorten so tun. Ich wünsche und hoffe, dass es immer mehr werden… an immer mehr Orten… die sich das trauen…
Zusammenstehen und friedlich demonstrieren für diese Werte: für Mitmenschlichkeit, Güte, Zusammenhalt, Freiheit und Demokratie. So wie wir hier Heute. Bleiben Sie alle behütet.
Entsprechend unserer hospizlichen Haltung sind wir dem Bündnis für Demokratie und Zivilcourage Bergstraße beigetreten.
Fotos: Jan Bema